Von der Freude des Nicht-Wissen

In unserer heutigen Zeit kann es sehr lohnend sein, sich einmal die Begriffe „Wissen – Nichtwissen – Unwissenheit“ aus daoistischer und buddhistischer Sicht anzuschauen. Dabei werden wir kein neues intellektuelles Wissen erlangen, sondern können uns öffnen für ein tieferes Wahrnehmen, das uns allen innewohnt.

Unwissenheit im buddhistischen Sinne meint nicht „etwas nicht zu wissen oder zu verstehen“, sondern steht für Täuschung, irrige Ansicht, und gilt als eines der drei Geistesgifte (neben Gier/Begierde und Hass), die unser Herz immer wieder in Unruhe, Sorge und Leid verstricken.

Wir sind gewohnt, uns als getrennt von anderen, getrennt von der Natur, vom Kosmos zu betrachten. Wir sind gewohnt, uns als unabhängige Einheiten, als unveränderliche Wesen wahrzunehmen, die die Illusion von Stabilität und Sicherheit, auch auf Kosten der Wirklichkeit, aufrecht erhalten möchten. Wir sind es gewohnt, unser Gedanken und Vorstellungen für wahr zu halten, ohne innezuhalten und genauer zu schauen.

Diese Gewohnheitsmuster verhindern oft, dass wir erkennen können, wie unendlich komplex alle Fäden des Lebens miteinander verwoben sind.

Im Buddhismus gibt es den Begriff des „abhängigen Entstehens“, genauer noch „gegenseitig abhängigen Entstehens“ (sanskrit: pratityasamutpada ), denn wir sind immer aktiv wie auch passiv darin eingebunden. Eine Frucht der spirituellen Entwicklung ist es, auf einer ganz tiefen Ebene diese Verbundenheit mit allem, die immer fließend, immer veränderlich ist, zu erfahren. Eine Verbundenheit, die wir nicht haben können, die wir nur sein können.

Das unendlich feine Netzwerk dieses abhängig Enstehens nicht zu sehen, kann als Unwissenheit bezeichnet werden.

Zu schnell werden Meinungen, Erkenntnisse, Ideen als unumstößlich, fest und wahr angenommen und gegen andere Meinungen, Erkenntnisse und Ideen, die deren Urheber als genauso unumstößlich, fest und wahr betrachten, vehement verteidigt.

Die Unwissenheit im obigen Sinne abzulegen, bedeutet gerade nicht, an etwas festzuhalten, sondern sich zu öffnen, für Veränderung, Erneuerung, Wandel, ja auch für Irrtum.

In den letzten Wochen konnten wir gut beobachten, wie verschieden „Wahrheiten“ gegeneinander abgegrenzt wurden, wie Wissenschaftler unredlich genannt wurden, weil sie Erkenntnisse revidierten. Tieferes Wissen zu erwerben ist immer ein Prozess, ein Suchen, ein Miteinander, der Veränderung und Irrtümer zulässt.

Dieses Zulassen des Vorläufigen, die Möglichkeit des Fehlers, führt schnell zu Unsicherheit, wir möchten so gerne etwas haben, an dem wir uns festhalten können.

Im 15. Vers von Laotse heißt es:

Wer kann in Stille warten, bis das Trübe sich setzt? Doch wer das vermag, vermag auch zu handeln.

Hier wird also als Voraussetzung für Handeln erst einmal die Stille genannt.

Den Daoisten war intellektuelles Wissen suspekt, da es immer an Zeit und Ort gebunden ist – was ein Mensch im 8. Jahrhundert im alten China wusste, unterscheidet sich wesentlich von dem, was wir heute wissen.

Diese intellektuelle Wissen ist unbestreitbar nützlich für unsere Alltagsangelegenheiten und von hohem praktischem Wert, aber es bleibt immer relativ. Außerdem setzt dieses Wissen in der Regel die Trennung von Natur (Objekt) und Geist (Subjekt), der dieses Obekt betrachtet und daraus Erkenntniss gewinnt, voraus.

Geschätzt haben Daoisten dagegen das „Nicht-Wissen“, womit sie die Ebene des eher Intuitiven, des Wahr-Nehmens, meinten. Wir haben nicht wirklich ein Wort dafür, Francois Jullien nennt es „Einvernehmen“ oder auch „Verständnisinnig“.

Es ist dieses tiefe innere Wissen, das entsteht, wenn wir Eins mit dem Gewußten sind, wenn es keine Trennung gibt. Wir alle haben ein Gefühl dafür, wenn wir z.B. für einen Moment ganz eins mit der uns umgebenden Landschaft sind. Es muss gerade nichts „Schönes“ oder „Großartiges“ sein. Den chinesischen Maler-Poeten konnte ein abblätternder Holzzaun, eine welkende Chrysantheme oder ein Tautropfen im Gras, Motiv genug für dieses Ein-Vernehmen sein, dass sie so wunderbar darstellen konnten.

Vielleicht sollten wir beginnen unsere grundlegende Unwissenheit zu durchschauen um die Relativität von Wissen zu erkennen – und dann hat auch das berührende Nicht-Wissen seinen Platz.

Ein Inne-Werden kann enstehen, indem wir mit uns selber in tiefen Kontakt kommen und dadurch die Verbundenheit mit den „10.000 Dingen“ erfahren.

Es gibt verschiedene Wege, dies zu erreichen – Stille, Ruhe, Sammlung können uns unterstützen. Und im Qigong trägt ein sich wirklich Öffnen für das Qi in uns und um uns herum, dazu bei. Hier ein Vers aus dem Daodejing, Laotse 16

Der Weise regiert uneigennützig, ganz gar auf Stille und inneren Frieden gestützt. Er betrachtet das Kommen und Gehen der Jahreszeiten, und da er erkennt, wie die Dinge wachsen, erkennt er:

Sie werden von den Wurzeln genährt. Und zu den Wurzeln kehren sie zurück, um zu wachsen, zu blühen und wiederzukehren.

Jedes Ding muss seine Wurzeln haben, und unsichtbar wirken die Fasern im Grund. Dieses stille Nähren ist der Weg der Natur. Erkennst du dieses Prinzip des Nährens, kannst du alles begreifen. Es nicht zu verstehen wird dich ins Unheil führen.

Dies wissend, vermag der Weise zu handeln. Er wird es mit Geduld und Gerechtigkeit tun. Jeder Mensch kann darin weise werden,und den Weg des Himmels gehen.

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